An der Ampel

Alltagsutopien

1940

strasenbahn1„Heil!“ Sagt Peter. „Ich fahre zu Greta!“ Er steigt in die Straßenbahn. Sein braunes Oberhemd, polnische Zwangsarbeit, verfängt sich in der Tür. Er grinst, ein Telegramm im Revers: „Ich brenne wie die Zone Sahel! Um Mitternacht bei mir? Kuss, Rahel.“ An der Kreuzung fährt der Vordermann nicht an. Peter flucht: „Lange Leitung, Mann!“
Dann ist er da. „Komm rein“, lächelt Greta und wischt die Hände scheu an der Schürze ab. „Ich hab uns was gezaubert! Kartoffeln mit Soße!“ „Kolossal“, sagt Peter und küsst ihr die Hand. Die Nachbarn horchen an der Zwischenwand.

1970

„Dufte!“ Sagt Dieter. „Ich fahre zu Anita!“ Er steigt aufs Moped. Sein Halbarmhemd, deutsche Wertarbeit, verfängt sich im Wind. Er grinst, ein Zettel hängt am Blinker: „Warst mal wieder ne’ Granate! Komm bald wieder! Ciao, Renate.“ An der Ampel fährt der Vordermann nicht an. Dieter flucht: „Hast ’n Sockenschuss, Mann!“
Dann ist er da. „Komm rein“, lächelt Anita und wischt die Hände scheu an der Schürze ab. „Ich hab uns was gezaubert! Kroketten mit Sauce!“ „Stark“, sagt Dieter und küsst ihr die Wange. Der Vermieter steht versteckt im Hauseingange.

2000

(c) cryptozoologist, http://www.flickr.com/photos/cryptozoologist/2493539793/„Geil!“ Sagt Sven. „Ich fahr’ zu Adrienne!“ Er steigt ins Auto. Sein Polohemd, kambodschanische Kinderarbeit, verfängt sich in der Tür. Er grinst, empfängt eine SMS: „Kommst du nicht, kommt ein andrer! Doch dann komm ich nicht. Sandra.“ An der Ampel fährt der Vordermann nicht an. Sven flucht: „Hast ’n Arsch offen, Mann!“
Dann ist er da. „Komm rein“, lächelt Adrienne und wischt die Hände scheu an der Schürze ab. „Ich hab uns was gezaubert! Baked Potatoes mit Dipp!“ „Cool“, sagt Sven und küsst ihr den Mund. Der Mitbewohner tut ein Hallo kund.

2030

„Anal!“ Sagt Finn. „Ich fahre zu Lynn!“ Er steigt in die Schwebebahn. Sein Nylonhemd, Schweizer Ein-Euro-Arbeit, verfängt sich in der Tür. Er grinst, es blinkt seine Personal Watch: „Baby, I still feel ya! Come on and back! Cecilia.“ An der Ampel fährt der Vordermann nicht an. Finn flucht: „Hast ’n Speicher voll, Mann!“
Dann ist er da. „Komm rein“, lächelt Lynn und wischt die Hände scheu an der Schürze ab. „Ich hab uns was gezaubert! Süßkartoffeln in Sud!“ „Faunisch“, sagt Finn und saugt an ihren Lippen. Und sieht, wie sich die Flatmates für ein Date equippen.

2060

(c) dalbuio, http://www.flickr.com/photos/dalbuio/3229254219/„Steil!“ Sagt Frieder. „Ich fliege zu Ida!“ Er steigt in den Shuttleplane. Sein Latexhemd, armenische Altenarbeit, verfängt sich im Wind. Er grinst, es blinkt sein Makrochip: „Du machst mich glutig, machst mich grell! Komm bald wieder! Annabelle.“ An der Ampel fliegt der Vordermann nicht an. Frieder flucht: „Schafsklon, Mann!“
Dann ist er da. „Komm rein“, lächelt Ida und wischt die Hände scheu an der Schürze ab. „Ich hab uns was gezaubert! Tomoffeln mit Tunke!“ „Pervers“, sagt Frieder und fischt nach ihrer Zunge. Die schmeckt, als rauche Ida Crunt auf Lunge.

2090

„Drall!“ Sagt Henner. „Ich beame zu Aenna!“ Er geht zum Teleporter. Sein Kettenhemd, eurasische Telearbeit, verfängt sich in der Tür. Er grinst, es zuckt durch seinen Kopf: „Ich schmelze wie das Eis des letzten Gletschers! Komm wieder! Dein Bettschatz.“ Am Teleporter beamt der Vordermann nicht an. Henner flucht: „Hast ’n Genproblem, Mann!“
Dann ist er da. „Komm rein“, lächelt Aenna und wischt die Hände scheu an der Schürze ab. „Ich hab uns was gezaubert! Rosmarinkartoffelinfusion!“ „Kordial“, sagt Henner und küsst ihr die Plomben. Am Himmel fliegen ferngesteuert Bomben.

2120

„Heil!“ Sagen die Steine. „Endlich alleine.“