Randvolle Stundenpläne, Terminstress, kultureller Overkill – Flüchtlinge in Deutschland. Eine Reportage
Hamburg-Barmbek, Freitag in der Früh: Kadir F. erwacht. Die Morgensonne blinzelt durch sein Containerfenster. Der 30jährige Syrer rappelt sich hoch, tastet nach seinem Smartphone. Ach du dickes Wachtelei: Schon 7.15 Uhr!
Kadir schnellt hoch, stürzt den Tee vom Vortrag hinunter, springt in seinen zerschlissenen Anzug, zupft die letzten Konfetti-Schnipsel aus dem verwuschelten Haar und los gehts.
Im Flüchtlingslager Hamburg-Barmbek herrscht bereits geschäftiges Gedränge. Eine Familie aus dem Kosovo schlurft lustlos mit Tennistaschen über das Gelände. Zwei bärtige Männer mit traumatisiertem Blick und Ballettschuhen, die über ihren Schultern baumeln, hasten Richtung Ausgang. Ein dunkelhäutiger Mann steht am Ausgang, mit seltsamen Bemalungen an Kopf und Hals. Ein Stammes-Ritual aus Ostafrika? “Schön wär’s. Interkulturelles Bodypainting!” stöhnt der Somalier.
Flüchtlinge & städtische Kulturprojekte: ein Trend, der immer weiter um sich greift. “Gerade für Flüchtlinge ist die Partizipation am kulturellen Leben ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe”, erklärt die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler das aufopfernde Engagement. “Gemeinsames Schaffen in Kunst und Kultur kann den Dialog unterstützen und die Integration von Flüchtlingen voranbringen. Und billig sind die Leutchen auch!” freut sich die Kulturbeauftragte. “Wir holen die Flüchtlinge dort ab, wo sie sind – auch wenn sie nicht immer Bock haben!”
8.20 Uhr
Hamburger Schauspielhaus: Die Proben des Theaterprojekts “Heimat (n)irgendwo” sind bereits in vollem Gange. Als Kadir auftaucht, hebt Schauspiel-Intendantin Karin Beier rügend einen Zeigefinger: “Marsch, marsch auf deinen Platz! Nix trödeln!” Gähnend wickelt Kadir große Bahnen aus weißem Papier um seinen Körper, bis nur noch die samtschwarzen Augen und die Lippen hervorluken. Landschaftsfotos werden auf seinen Leib projiziert: ein Bild aus der Wüste, eins vom Meer, Wegbilder seiner Flucht.
“Geil!” ruft Karin Beier und schiebt Kadir noch einen deutschen Apfel in den Mund, “und jetzt erzähl mal! Frisch und authentisch drauflos!” Drei Stunden tanzen, deutsche Volkslieder singen auf Heliumgas und mit blutroter Plakka-Farbe die Fluchtroute auf eine Plexiglasscheibe klecksen, dann ist die Probe vorbei.
Doch zum Ausruhen bleibt keine Zeit. Nächster Termin: Kunstworkshop “ARTHELPS” im Künstleratelier St. Pauli. Hier können Flüchtlinge ihren Gefühlen mit verschiedenen Materialien Ausdruck verleihen. Ihre Fluchtängste wegfilzen, Traumata wegtöpfern, Kriegserfahrungen in Gießharz gießen.
Kadir gegenüber sitzt ein Mädchen, lässt mit bunten Bügelperlen täuschend echt ihr Heimatdorf auferstehen. Dunkle Ringe umspielen die Augen der 13jährigen unbegleiteten Nila. Querflöte, Hockey, “LET’S MEET” für Flüchtlingsteens – eine Sozialarbeiterin karrt die Kleine nach der Schule von einem Termin zum nächsten.
19 Uhr
Das interkulturelle “WELCOME DINNER”, bei dem Flüchtlinge und Künstler gemeinsam kochen, ist endlich vorüber.
“Feierabend!” frohlockt Kadir. Müde schleppt er sich nach Hause, an den Fingern Schwielen vom Rollmops rollen. Ein Obdachloser hockt am Straßenrand, döst vor seinem Tellerchen. Hat der’s gut. Da steht plötzlich eine Gestalt, im Dämmerlicht, an einer unbeleuchteten Straßenecke. Im Trenchcoat, den Hut tief ins Gesicht gezogen. “Pssssst!” zischelt eine Stimme.
“No, I don’t want to kill people in my home country!”, sagt Kadir mit fester Stimme. Die Seelenfänger vom IS, die ihm andauernd auflauern, gehen ihm gehörig auf den Keks.
“No IS!” raunt der Fremde. “John Neumeier! Hamburger Staatsoper! I have an engangement for you. Participation! Dancing! Dialogue! Fun!”
Dieser verquasselte Paffke hat ihm gerade noch gefehlt.
Kadir wendet sich zum Gehen, doch der Fremde wirft sich vor ihm auf die Knie, krallt sich in seiner Jacke fest. “Wait! Nix gehen! I need you! I need EU-Fördergelder! You get a Nahverkehrsticket and my daughter, she’s a virgin. A VIRGIN!”
Kadir reißt sich los, rennt einfach in die Nacht. Diese Kulturfatzkes sind ja noch aufdringlicher als die Schlepper in Anatolien! Jetzt ist es stockdunkel. Wo ist er hier eigentlich? Sind das Schritte hinter ihm? Kadir läuft schneller, versteckt sich schweißgebadet in einem Kellereingang. Unangenehme Deja-vus kriechen in ihm hoch. Da gellt eine Stimme, schrill wie die Bombensirenen in Aleppo, aus der Finsternis: “Bock auf eine Tupperparty? He, komm raus!”
Kadir würde gern auch mal was anderes machen. Zum Beispiel seinen Asyl-Papierkram. Dem Nieselregen beim Nieseln zusehen, oder das Foto seiner Frau, die noch im Libanon festsitzt, anschmachten, und den ganzen Tag wichsen.
Doch, ausschlafen, verschnaufen, davon können viele Flüchtlinge nur träumen.
“Sportbund weitet Flüchtlingsprojekt aus”, “neue Förderrichtlinie für Kunst und Flüchtlinge” – was für die einen Anzeichen einer einzigartigen Willkommenskultur, ist für die anderen nichts als Horror.
In den Kliniken häufen sich bereits die Burnout-Patienten mit Fluchthintergrund. Ausgebrannt, kraftlos, dem Erwartungsdruck nicht mehr gewachsen. Terminkalender, voll wie die deutschen Theaterzuschauer nach dem Pausen-Champagner. “Ich konnte einfach nicht mehr!” stöhnt Joel aus Eritrea. “Terminstress, den ganzen Tag, und dann diese beknackten Kegelrituale! Und der Walzer-Kurs! Wenn wenigstens die Musik nicht so schwul wär! Das ist härter als jeder 10-Stunden-Job, zermürbender als der Fussmarsch durch die lybische Wüste!” Deutschland, das Land wo Milch und Honig in Strömen fließen? “Pfff, höchstens in irgendeinem interkulturellen Back-Kurs!” seufzt der junge Mann desillusioniert.
Kritik gibt auch von anderer Seite. Zum Beispiel von der CSU. “Das ist doch wieder so ein falsches Anreizsystem!” poltert Horst Seehofer. “Da will die ganze Welt nach Deutschland kommen. Da denkt doch jeder, er kann hier der neue Klaus Kinski werden! Dabei bin das ich!”
Und noch eine Bevölkerungsgruppe verfolgt die Entwicklung mit Argwohn. Die arbeitslosen Schauspieler. Der Kulturhype um die Flüchtlinge treibt den Bühnenkünstlern den Sozialneid ins Gesicht. August Diehl wurde bereits auf einer Pegida-Demo gesichtet. Nina Hoss wurde enttarnt, als sie mit schwarz verfilzter Perücke und vier Roma-Kindern in der Handtasche versuchte, sich eine Rolle in Elfriede Jelineks Flüchtlings-Musical “Die Schutzbefohlenen” zu ergaunern.
“Moment mal, die arbeitslosen Schauspieler können doch den Asyl-Papierkram der Flüchtlinge erledigen”, versucht Peter Altmaier, Bundes-Chefkoordinator für Flüchtlingsfragen, die Problematik zu entschärfen. “Dann haben die Flüchtlinge mehr Zeit, auf der Bühne zu stehen – und wir bald den ersten syrischen Siegfried!”
23 Uhr
Hundemüde liegt Kadir in seinem Bettchen. Übermorgen ist endlich Sonntag. Doch: ausschlafen? Von wegen! Es ruft der interreligiöse Gottesdienst “Welɔome Church” mit anschließendem Stadtteilspaziergang.
“Pflücke den Tag”, steht auf Kadirs Caritas-Umsonst-Kalender über seinem Bett. Aber ehe er die Worte in seinem brüchigen Deutsch richtig entziffert hat, ist er schon eingeschlafen.
Erschienen in Titanic 12/15