Džafti kurafti

Fluchen auf dem Balkan

balkans-stojanovic_neu“Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ Diese Worte Joschka Fischers von 1984, gerichtet an den Bundestags-Vizepräsidenten Richard Stücklen, gelten noch immer als die schärfste Schimpfkanonade, die der Bundestag je zu bieten hatte. Was damals Stücklen und ganz Deutschland schockte, ringt Menschen im Südosten Europas kein müdes Lächeln ab: Verballern doch Staatsmänner wie jüngst der ungarische Premier Ferenc Gyurcsány („Ezt nagyon elkúrtuk“ / „Das haben wir total verfickt“) mehr Verbalmunition in einer einzigen Rede als alle Grünen seit ihrer Gründung zusammen.

Pissnelke, Furzgesicht, Spinatwachtel

Deutschland, mit Verlaub: Mit deinem Fluchvokabular ist kein Staat mehr zu machen. Kotige Kraftwörter wie „Scheiße“ und „Kacke“ haben lange, wüste Flüche längst verdrängt. Zwar geistern ein paar Fluchfossile noch durch unseren passiven Wortschatz: „Hol dich der Teufel!“, oder: „Geh hin, wo der Pfeffer wächst!“ Doch die haben keine Spruchreife, kein Feuer im Arsch mehr, keine Sprengkraft. Einziger Lichtblick: Weil die deutsche Sprache die Reihung von Substantiven erlaubt, gibt es hübsche Ein-Wort-Pöbeleien, die  klanglich betören, wie „Analakrobat“ oder „Aktenkacker“, oder durch surreale Sinnfreiheit bestricken: „Pissnelke“, „Furzgesicht“, „Spinatwachtel“…

Phantasieversteppung

Ein Fluch ist ein Spruch, der auf magische Weise einer Person Unglück bringen soll. Als die Menschen noch glaubten, dass es höhere Mächte gibt, die man anrufen kann, und die dann für die Realisierung des Ausgerufenen tatsächlich sorgen, hatten Flüche Hochkonjunktur. Doch auch, wenn höhere Mächte mal nicht mitmischen: Flüche haben Schlagkraft, wie Martin Luther schrieb: „Die Zunge hat kein Bein, schlägt aber manchem den Rücken ein“, und das Duell Zidane-Materazzi vor geraumer Zeit wieder mal bewies. Kurz: Deutschland steckt fluchtechnisch in der Scheiße, im Konjunkturtief. Das diagnostizierte auch Carl Wilhelm Macke im Titel-Magazin: „Phantasieversteppung, kleinbürgerliche Bigotterie und ein immer feiner gestricktes Netz an Beleidigungsparagraphen haben die hohe Kunst barocker Verfluchungen fast vollständig aus unserem Sprachschatz entfernt.“

 Alles wird gefickt

Noch nicht aber aus dem Sprachschatz aller Länder und Sprachen! Auf dem Balkan, zwischen Zagreb und Athen, Tirana und Bukarest treibt die Flucherei weiter üppige Blüten, gehören Flüche noch immer zum  Alltag wie die Vettern zur Wirtschaft: „Ein Elefant soll dich ficken: Mit einem Kopfsprung vom Balkon!” „Eine hungrige, langhaarige Karpaten-Wölfin soll deinen Schwanz lutschen!“ Gleich drei Merkmale eint die Flüche auf dem sonst so zersplitterten Balkan. Erstens sind sie besonders vulgär, was vor allem an einem Faktum liegt: „Alles wird gefickt“, schreibt mir der in den USA lehrende Malediktologe resp. Fluchforscher Reinhold Aman, und bringt es damit auf den Punkt.

Ich ficke die ganze erste Reihe bei deiner Beerdigung

Einzige Differenz: Entweder, der Angesprochene soll gefickt werden von X: „Der Teufel soll dich ficken / die Serben / die Chinesen / ein blinder Wolf / ein Esel / eine Schildkröte…“. Oder der Sprecher wird selbst aktiv und fickt Y, also Personen oder Dinge, mit denen der Angesprochene alliiert ist: „Ich fick den Boden, auf dem du stehst / dein ungeborenes Kind / die ganze erste Reihe bei deiner Beerdigung / die Törtchen bei deinem Begräbnismahl / deine Familie bis in die 5. Generation / deine (ungeborene) Mutter in ihrer Mutter…“.

Ficken + Mutter + X

Zweite Gemeinsamkeit: Die Genagelte ist meistens die Mutter. „Ich fick die Seele deiner toten Mutter!“, „Deine Mutter soll meinen Schwanz zwischen ihre Goldzähne klemmen!“ Oder, in rumänischer Galanterie, in Frageform: „Entschuldigen Sie, ich suche schon die ganze Zeit nach meinem Schwanz, aber kann ihn nicht finden. Dürfe ich vielleicht einmal im Mund Ihrer Mutter nachsehen?“ Warum nur immer die Mutter? „Beim Fluchen verletzt man das größte Tabu seiner Kultur“, schreibt Reinhold Aman. Und das ist in vielen Balkan-Regionen die Mutter, die noch immer der Heiligenschein putzt. Das Mutter-Tabu wird aber meist mit anderen Tabus kombiniert und dadurch aufgemotzt: Vor allem mit dem Toten-Tabu („Ich ficke deine tote Mutter“), dem Tier-Tabu („Ein Rudel Hunde soll deine Mutter ficken“) oder dem Inzest-Tabu („Dein Großvater soll deine Mutter ficken“). Die Faustformel für einen Balkan-Fluch: Ficken + Mutter + X. Zwei Ausreißer aber gibt es: Montenegro und Albanien. Deshalb ein Urlaubstipp: Wer sich an der Adriaküste verirrt, sollte einfach den Einheimischen aufs Maul schauen: Wird die Mutter gefickt, befindet man sich in Kroatien; ist es der Vater, in Montenegro; und ist es die Schwester, in Albanien.

Verbale Jamsession

flucheckDrittens eint die Flüche vom Balkan, dass sie oft komplex und fintenreich sind: „Ich stecke meinen Schwanz in die Biene, die den Nektar schleckt von der Blume auf dem Grab deiner Mutter!“ Oder, barocker: „Ich ficke den Wald Christi, in dem dein Großvater den Baum gefällt hat, aus dem dein Vater den Schrank mit der Schublade gezimmert hat, aus dem euer Nachbar den Präser genommen hat, der danach beim Ficken in der Möse deiner Mutter geplatzt ist!“ Solche Flüche lassen sich weder  Einpauken noch Aufsagen: Sie entstehen im Stegreif, werden improvisiert und variiert; ein solcher Schlagabtausch ist eine verbale Jamsession. Das Grundmuster, auf dem diese Flüche basieren: Kausale Ketten, meist Produktions- oder Nahrungsketten, werden von vorn nach hinten oder hinten nach vorn heruntergeflucht. Die Pointe wird dabei aufgeschoben, herausgezögert wie bei einem guten Witz.

Im Grenzland zwischen Fluch und Witz

Dass man sich hier überhaupt im Grenzland zwischen Fluch und Witz befindet, zeigen auch die Flüche der osteuropäischen Juden: „Du sollst ein großes Haus erben mit hundert Zimmern, und in jedem Zimmer sollen hundert Betten sein – und die Cholera soll dich von Bett zu Bett werfen!“ Das ist rhetorisch brillant – „im ersten Teil dem Gegner mit einem Lob das Herz zu öffnen, im zweiten mitten ins Herz zu zielen“, so Reinhold Aman. Aber zielen Flüche immer bewusst ins Herz? Werden sie in voller Absicht gebraucht? Manchmal ja. Meistens aber bedeutet ein ausgestoßenes „Ich ficke deine Mutter!“ nichts anderes als: „Ach du scheiße!“

Politische Dimensionen

Viele Balkan-Flüche sind mitnichten zeitlos, sondern haben eine politische Dimension. So wird in Albanien noch immer geflucht: „Alle Chinesen sollen dich ficken!“ Ein Relikt aus dem Kommunismus, als die „chinesisch-albanische Kampffreundschaft“ in den Siebzigern in eine Feindschaft kippte. Und durch Jugoslawien geisterte vor einigen Jahren der Fluch: „Dein Haus soll live bei CNN zu sehen sein“, was heißt: Dein Haus soll von der NATO zerbombt werden.

Warum ist Fluchen noch keine Disziplin bei den jährlichen „Balkanspielen“? Weil die Serben eh immer gewinnen würden. Diesen Rückschluss lässt zumindest ein Aufsatz des Wissenschaftlers Bernard Nežmah zu, der auch ein Business-Wörterbuch Englisch-Serbisch als Beweismittel heranzieht. Denn ein locker-langweiliges: „Hi, it’s been a long time!“ heißt auf Derbserbisch: „Đe si pizda ti materina? / Motherfucker! where’ve you been?“

Vielvölkerfluchkultur

Natürlich könnte man noch viel weiter differenzieren: Nach Ethnien, Sprachgruppen, Religionen. Denn beispielsweise fluchen die katholischen Kroaten besonders häufig blasphemisch. Dennoch – dass eine Art balkanische Vielvölkerfluchkultur existiert (auch wenn der Balkan hier mit Ungarn recht großzügig geschnitten ist), zeigt sich auch daran, dass die Flüche der Nachbarländer nach Herzenslust ausgeborgt und kopiert werden – und sogar in den Nachbarsprachen geflucht wird: In Ungarn auf Serbisch, in Serbien auf Bulgarisch und so fort. Weniger aus Liebe zu den Nachbarn, sondern, um die eigene  Muttersprache nicht zu besudeln.

Lernen von den Nachbarn

Kopieren können aber auch Deppen: Warum also nicht auch wir Deutschen? Warum unsere Fluchkultur nicht durch die balkanische beflügeln? Es muss ja nicht bei Ficken + Mutter + X bleiben. Wie anregend ist es aber, die fintenreichen Flüche zu kopieren und an die hiesige Gesellschaft anzupassen: „Oh möge ein Tanker kentern und die Fische verseuchen, aus denen das Fischmehl geschreddert wird, mit dem das Mastschwein gestopft wird, das du genüsslich als Kotelett verspeist und dich für alle Zeit impotent macht!“ Das ist bei jedem Business-Lunch, jeder Party, in jedem Poesiealbum der Renner. Und wem das zu boshaft ist, der kann auch die Flüche in ihr Gegenteil verkehren – in Komplimente oder gar in Liebesschwüre: „Ich angle mit meinen Zähnen jedes Schamhaar einzeln aus dem Schaum im Abflusssieb deiner Dusche!“ Das wäre doch ein Anfang.

Erschienen in Titanic