Kinder tracken ihre Eltern. Eine Reportage
Anfangs war es nur ein kleiner Spaß: Ein langweiliger Nachmittag im Herbst, die Playstation kaputt und nix zu kiffen, als Julian, 14 Jahre, den GPS-Empfänger im Smartphone seines Vaters installierte, heimlich versteht sich. Inzwischen ist es seine liebste Freizeitbeschäftigung. Und die seiner Kumpels.
Samstag abend, 19.30 Uhr: Kartoffelchips futternd, hocken vier picklige Jungs in Julians Zimmer. Es klopft. Ein sorgsam frisierter Mann in Hemd und Jackett öffnet die Tür: “Tschüssi, ihr Halunken! Ich muß noch zu einem Vortrag. Treibt es nicht zu wild”, zwinkert der 46jährige FH-Professor. “Aber nein, Herr Harms!”, rufen die Jungs artig im Chor. Stefan Harms drückt seiner Frau im Flur einen Kuß auf die Wange und verschwindet.
Für wenige Sekunden.
Gespannt starren die Halbwüchsigen aufs Julians Smartphone, darauf der digitale Stadtplan von Hamburg. Ein kleiner roter Punkt erscheint. Julians Vater. Der Punkt wandert die Straße entlang, biegt links um die Ecke, bewegt sich weiter Richtung Bahnhof, saust die S-Bahn-Strecke entlang, arbeitet sich durch die Gassen von Hamburg-Tonndorf, bis hinein in eine spärlich beleuchtete Straße, Albert-Schweitzer-Ring 93 B. Endstation: Das “FLAT 99”, der Lidl unter den Flatrate-Bordellen, die Stunde 7,99 €.
“Volltreffer!” gröhlt Julian. Ein kollektives dreckiges Wiehern. “Kraß Mann, schon wieder! Dein Vaddi hat’s faustdick hinter den Ohren!” Ein sommersprossiger Junge haut sich vor Lachen auf die Knie, daß die Chipstüte hochhopst. “Gibt mal her, Mann, gib her! Und mach die Wanze-App an! Ton – an! Ton – an!” skandieren die Halbstarken wie von Sinnen.
Webcam im Elternschlafzimmer
Ob aus Spaß, Langeweile, Bosheit oder echter Besorgnis: Immer mehr Jugendliche überwachen ihre Eltern. Längst sind die pubertierenden Digital Natives in Sachen Überwachungstechnik ihren Eltern weit voraus. An passenden Tools herrscht kein Mangel: Tracking-Apps, heimlich installierte Spyware, GPS-Empfänger in Akten-, Hand- oder Golftaschen, Apps zum Mitlesen von SMS und Chats oder Mini-Webcams im Schlafzimmer der Eltern.
“Warum soll ich selber saufen gehen, wenn ich meinem alten Herrn beim Kotzen zusehen kann?”, erklärt ein 18-jähriger Azubi aus Wuppertal.
“Das ist spannender als ‘The Walking Dead!'”, bekräftigt eine Neunjährige aus Hannover. Sätze, die man aus den Mündern vieler junger Menschen hört.
“Es ist wie eine Sucht”, nickt auch Julian, der sein Display keine Sekunde aus den Augen läßt. Da, der rote Punkt gerät wieder in Bewegung. Nach 76 Minuten verläßt Stefan Harms das Gebäude. “15,98 Euro!”, addiert Julian die Flatrate-Summe im Kopf. Rasant bewegt sich der rote Punkt Richtung Innenstadt, vermutlich per Taxi, durchs schmale Straßengewirr.
“Wo isser? Wo isser?” rufen Julians Kumpels panisch, doch da taucht der Punkt wieder auf.
Ob sein Vater die ständige Überwachung gar nicht bemerkt? “Iwo! Der Trollo checkt das nicht, der lebt hinter Mond. Ich sage nur, der Typ hört noch die Toten Hosen – auf CD!”
Da ploppt am Bildschirmrand eine Blase auf: “Unsichere Zone! Unsichere Zone!” Der rote Punkt wandert über die Reeperbahn, geradewegs hinein ins “Dark Eagle”, den sagenumwobenen Schwulenclub.
“Wahnsinn! Dein Oller kriegt ja nie genug!” Ein zahnspangiger Blondschopf bekommt Schluckauf vor Lachen. Die Stimmung ist blendend. Eine neue Chipstüte wird aufgerissen. “Ste-fan! Ste-fan!” schallt es aus heiseren Kehlen.
Andere Jugendliche verfolgen ihre Eltern auf dem Weg zum Spielcasino, mit Abstecher übers Pfandleihhaus, zum Monatstreffen der schwäbischen Reichsbürger, zum Fackelmarsch der AfD, zu feuchtfröhlichen Crystal-Meth-Partys, auf den mitternächtlichen Friedhof oder einfach zu Aldi.
Für so manch Heranwachsenden sind die GPS-Tracker wahrlich ein Segen. Ein 11jähriger, der in einem Kölner Problemviertel haust und noch fünf jüngere Geschwister hat, strahlt über beide Backen: “Jedes Mal, wenn Papsi wieder türmen will, können wir ihn sofort wieder einfangen!”
Helikopter-Kinder
Bei einigen Jugendlichen hingegen ist es echte Besorgnis. So wie bei Hannah-Sophie. “Ja, ich bin eine Helikopter-Tochter!” räumt die 17jährige ein, die jeden Schritt ihrer Mutter verfolgt. “Da draußen lauern überall Gefahren. Mit Männern, Ebay und ihrem Epiliergerät kann Mutti einfach nicht umgehen!” So vieles möchte Hannah-Sophie wissen. Säuft ihre Mutter heimlich Rotwein, anstatt endlich die Küche zu feudeln? Macht sie wieder Dirty Talks mit diesen kranken Typen vom evangelisch-lutherischen Diskussionsforum? Vor jeder Klassenfahrt, jedem Kinobesuch installiert sie Webcams in sämtlichen Zimmern der Wohnung. “Mir gibt es ein Gefühl von Sicherheit, immer zu wissen, wo meine Mutter ist. Und lustig ist es auch!”
Hannah-Sophies Mutter weiß davon. Ändern kann sie es nicht. Resigniert zuckt sie die Schultern: „You are terrified of your own children, since they are natives in a world where you will always be immigrants“, führt die Zahnarzthelferin ein berühmtes Zitat über die Digital Natives an, “aber nu, was soll ich machen? Wenn ich eine Kamera entdecke, sind drei neue da!”
Längst haben auch kommerzielle Anbieter Lunte gerochen, springen auf den Zug auf. “Parent Control – Die ideale App für besorgte Kinder”, preist ein Unternehmen seine Spähsoftware an. “Wo ist Mami?” erobert die App-Stores, von “Jagd auf Papi!” dicht gefolgt. Auch “Synagram”, “Familonet” und “Stasi kids” tummeln sich auf dem Markt.
Um Julians Vater ist es inzwischen ruhiger geworden. Den geräumigen Darkroom hat er mittlerweile verlassen und, nach einer kurzen Stippvisite bei Muttis bester Freundin, seinen finalen Bestimmungort gefunden. Schon seit zweieinhalb Stunden residiert der rote Punkt in “Udo’s Saufloch”. Nur manchmal bewegt er sich für Momente ins Freie. “Alder, jetzt reiert er wieder in den Altglascontainer!” gröhlen die Jungs, doch schon merklich müder.
2.36 Uhr: Erstes Gähnen. Langsam wird es langweilig. Vielleicht doch noch die Feuerwehr in die Absturzkneipe bestellen? Oder Vatis Hochschul-Boß?
Och nö. Julian legt sein Smartphone auf den Nachtschrank. Genug für heute. Nächste Woche geht es weiter. Eine Weile noch, vielleicht ein paar Wochen, dann muß etwas anderes her. Julian bastelt bereits an einem weiteren Gadget: “Ein neuer GPS-Tracker – eingenäht in Vaddis Unterhose!” grinst er voller Vorfreude, dann schläft er hundemüde ein.