Wer war eigentlich Herr Bolte?

Von Nofretete die VIII. bis Maike Kohl-Richter:
Eine schauderhafte Kulturgeschichte der Witwe

“Ich mag Ferkel / kleine Foeten /
und auch grosse Maenner toeten /
Ich scheffel Gold / in grossen Batzen /
will morden / feiern / und brandschatzen.”
Altdeutsches Witwengedicht, um 1350

Die ältesten bildlichen Darstellungen der Witwe stammen aus Persien. Sie zeigen augenzwinkernde, zahnlose Alte, aus deren Mündern kleine Giftschlangen kriechen, gewandet in persische Witwentracht, bestehend aus schwarzen Bolero, Damenbart und Dolch.
Die ersten grausigen Witwenlegenden stammen jedoch aus dem Nachbarland. Im Alten Ägypten war es Brauch, die Witwe des verstorbenen Pharaos in der Pyramide gleich miteinzumauern, wo sie mit Kistenweise Wein, Opium und assyrischen Sexklaven noch einige Jahre ein lustiges Leben führte. So wie Nofretete die VIII., deren irres Lachen noch durch die Kalksteinblöcke bis zum Nil schallte.

Die meisten Witwen sind zwischen 9 J. (im Jemen) und 187 J. alt (im Alten Testament). Letzteres strotzt nur so vor zuchtlosen “Höllenweibern”, die schamlos neben den vergoldeten Hoden eines riesigen Kalbs posieren, niemals beten, immer zänken. Erwähnt sei hier nur die liederliche Rahel, die sich als Kupplerweib verdingte und später ein illegales Wucherzinsstübchen erbaute auf der Grabplatte ihres Mannes.
Im Mittelalter trieben die Witwenverbrechen immer tollere Blüten. Kein Wunder: Viele Witwen plagten nicht nur Geldsorgen, haarige Warzen und Syphilis, sondern auch chronische Langeweile. Ein beliebtes Witwenhobby zu dieser Zeit war Kinder erschrecken. In Gruselkostümen (z.B. Inquisitorenhütchen, selbstgebastelte Pestbeulen), warfen sie Niespulver umher oder Wasserbomben aus Schweineblasen.
Ungeklärte Dinge geschahen. Brunnen wurden vergiftet, Spiegel trübten sich über Nacht, in Brotleibern fand man eingebackene Fußnägel. Wenn die “Problemfrauen” (Zitat Franz von Assisi) allzu viel Schabernack trieben, rüttelte der zuständige Bischof sie einmal kräftig durch, im Volksmund auch “Witwenschütteln” genannt.

Witwen gelten seit jeher als manipulativ, hässlich, dämonisch. Zu recht, betrachtet man exemplarisch den Fall der tolldreisten Weronika aus dem Spessart, verwitwete Hutmacher, verwitwete Hufschmied, Steinmetz, Bürstenbinder, Bortenmacher und Kürschner. Sie kippte Fäkalienbrühe ins kirchliche Weihwasser und schändete Leichen, am liebsten die ihrer Männer. Nicht weniger sagenumwoben ist die Fürstin Malefica Strychnini aus der Lombarei, die den Leichnam ihres Gatten nackt an die Zugbrücke nageln ließ. Mit der Miene zärtlichster Besorgnis gab sie an, es sei nun mal sein letzter Wille gewesen, er habe ihr diesen Wunsch am Sterbebett ins Ohr geflüstert.

Oft hatten Witwen besondere Pflichten, ob traurig gucken oder zehnmal pro Tag Richtung Rom seufzen. Doch mancherorts hatten sie auch gewisse Rechte. Im Alpenvorland der frühen Neuzeit waren sie die einzigen Frauen, die Waffen tragen, rülpsen und im Stehen urinieren durften. Die alpinen Witwen fügten sich klaglos in ihre Rolle ein, schwärmten in riesigen Batallionen umher, zerlegten Kurzpfalz-Bayern und das halbe Habsburger Reich.

Zahlreiche Witwen erhielten illustre Beinamen, wie “Katharina die Perverse” oder “Undine die Unkeusche”. Sagenumwoben war im 15. Jahrhundert “Agnes die Freche”, die als Elfjährige nach dem Tod ihres Gatten Arnulf (47) drei Silbertaler erbte, die stinkenden Lederstiefel ihres Mannes und dessen krätzekranken Bruder Hans als neuen Ehemann, das Erbe jedoch kurzerhand ausschlug, als Rechtlose allein durch die Lande zog und allerlei Witwenstreiche ausheckte, denen Otfried Preußler Jahrhunderte später in “Die kleine Witwe” ein literarisches Denkmal setzte – ein Vorläufer der berühmten “Witwenwalz”, eine neuzeitliche slowakische Tradition, bei der es gilt, drei Jahre rückwärts umherwandern, griesgrämig zu gucken und so viel zu rauben und zu brandschatzen wie möglich.

Ein besonders düsteres Kapitel ereignete in Frankreich, das im 18. Jahrhundert ein hochzivilisiertes Land war – bis die Witwe Clicquot den Champagner Rosé erfand, wehrlosen Bürgern einflößte, den Ring der “Champagnerwitwen” mafiös ausbaute und allerlei Perversitäten beförderte (z.B. Sekt mit O-Saft), den allgemeinen Volkssuff einläutete und den noch allgemeineren Niedergang der französischen Kultur, der bis heute andauert.

Der erste Weltkrieg kam und senkte das Durchschnitts-Witwenalter über Nacht von 62 auf 19. Die Folge: Traditionelle Witwentänze (Polonaise, Cancan, Berliner Sirthaki) erlebten eine neue Blüte. Mit ruchlosen Witwen-Swingparties und morphiumgepeitschten Non-Stop-Flügen über den Atlantik waren die “Roaring Twenties” die Zeit der lustigen Witwen, aber auch dunkelster Delikte: Straßenbahndiebstähle, Nackt-Demos zugunsten der Erhöhung der Witwenrente, Witwenrandale auf Hochzeiten und die ein oder andere Bräutigamsentführung mit Todesfolge verbreiteten Angst und Schrecken.

Der Zweite Weltkrieg hinterließ nicht nur zerstörte Städte, sondern auch vier Millionen deutsche Kriegswitwen. Übellaunige Witwentrecks stapften aus Ostpreußen und Schlesien an, fielen in westdeutsche Dörfer ein, dominierten den Schwarzmarkt und beweinten lautstark den verstorbenen Mann, ihren geliebten “Adolf”.
In ihrem Schmerz konsumierten sie allerlei “Witwentröster”, von selbstgebranntem Steckrübenschnaps bis Gedichten von Hermann Löns. Die Franzosen plädierten auf Witwenverbrennung, doch schließlich wurden die “zähen Biester” (Zitat Konrad Adenauer) dazu verdonnert, Deutschland wieder aufzubauen, was eine ziemlich dumme Entscheidung war: Hässliche Zweckbauten, Betonklötze und Buchsbaumhecken zogen die stillosen Trümmerwitwen hoch und tragen so bis heute die Schuld an den größten Bausünden der Architekturgeschichte.

Wahrlich tragisch zu nennen ist der Fall der Olga Stepanowitscha, schwatzhafte Ehefrau des geachteten Tschernobyl-Ingenieurs Anatoli Stepanowitsch Djatlow, der am 26. April 1986 mit seiner Gattin über Funkgerät (ukr.: “Wolka-Talka”) plauschte und diese dermaßen auf ihn einschwadronierte, ob der Herr nun den Borschtsch am Abend mit oder ohne Zwiebelchen wolle, dass der arme Anatoli eine Sekunde lang nicht aufpasste, eine unschöne Kettenreaktion auslöste, alle Zwiebelchen auf den Feldern eingingen und kurz darauf Anatoli selbst.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Zeit prominenter, schillernder Witwen. So wie Friede Springer, die den letzten Willen ihres Gatten, seine erkaltete Eichel ein letztes Mal in den Mund zu nehmen und einen brennenden Kackhaufen vor der Eingangstür der “taz”-Redaktion zu platzieren, aufopfernd nachkam. Oder Margot Honecker, die den persönlichen Nachlass ihres Mannes (Klammer auf: 3 fleckige Pyjamas, 2 halbleere Wodkaflaschen, 1 handschriftliches Manuskript: “Der Endsieg des Leninismus”, Klammer zu) einfach mit einäschern ließ. Noch ruchloser war nur Barbara Scheel, die bei der Beisetzung ihres Walterlis im Jahr 2016 in Breisgauer Trauergarderobe (bestehend aus apricotfarbenem Stretchkleid und Stöckelschuhen) erschien und noch am offenen Grab ihren Antrag auf Witwenpension ausfüllte.

Witwen sind nicht alle über einen Kamm zu scheren. Zwar sind die meisten von ihnen “Schwarze Witwen” (70%), es gibt aber auch gelbe Witwen (China), Latex-Witwen (Bulgarien), Strohrum- und Präsidentenwitwen, erfahrene und jungfräuliche Witwen wie Maike Kohl-Richter, sowie Einfach- und Mehrfachwitwen, unter letztere fällt das freche Künstlergroupie Alma Mahler-Werfel-Gropius-Kokoschka. Und manches Mal gruppieren sich mehrere Witwen um ein und den selben Mann. Genannt sei Amal Ahmed Al-Sadah, die im Jahr 2010 bei der rituellen Seebestattung ihres Mannes Osama bin Laden ihre 17 Nebenfrauen gleich mit versenkte. Ein Mindestmaß sportlicher Fairness hingegen beweisen die jährlichen Rugby-Meisterschaften zwischen den Witwen des saudischen Ex-Königs Abdullah ibn Abd al-Aziz und denen seines Bruders.

Viele bedeutende “WILFs” (Zitat Rainer Brüderle) wären noch zu nennen, so wie Yoko Ono, die japanische Bergwitwe, oder Aurelia, die provencalische Kräuterwitwe, können aber auch getrost im Internet aufgestöbert werden. Was bleibt: Noch immer Millionen Schabernack treibende Witwen und zahllose ungeklärte Kriminalfälle. Wer trägt die Schuld am Tod Uwe Barschels, an der Erderwärmung oder der fehlerhaften Version von “Widows 95”? Die Öffentlichkeit wird es wohl nie erfahren.

Fazit: Witwe sind böse, hässlich und riechen unter den Achseln nach fauligen Eiern. Wann immer man eine von ihnen trifft (besser meiden: “Karstadt”-Cafés, überdachte Bushaltestellen und Darbietungen der Gruppe “The Chippendales”), sollte man einen großen Bogen machen. Das Beste wäre, die “schwarzen Krähe” (Brigitte Seebacher-Brandt über ihre Vorgängerin) löschte sich von selber aus. Eine scheint einen Anfang zu machen: Maike Kohl-Richter, die seit einiger Zeit bereits von der Bildfläche verschwunden ist. Angehörige unken, dass sie es sich im Sarg ihres Gatten gemütlich gemacht hat und damit einen ehrwürdigen, altägyptischen Brauch wieder aufleben lässt. Auch eine schöne Endlösung: Durch die Fortschritte der Nanotechnologie werden die Menschen bald ohnehin alle unsterblich und das Witwentum schafft sich von selbst ab. Ein Segen! Dann wäre die Welt wieder so friedlich, schön und gewaltfrei wie einst in der Bronzezeit.

Erschienen in Titanic 2017